Gioco Salentino
Antonio Zecca
Gioco Salentino – Antonio Zecca
Kunstverein Konstanz, Freitag, 15.02.2019
Zwei Welten verbindet Antonio Zecca im Titel seiner Ausstellung miteinander. Gioco steht für das Spiel – jene Tätigkeit, bei der wir, ohne dabei bewusst Zwecke zu verfolgen, ganz bei uns selbst sind. Im Spiel vergessen wir uns selbst; in diesem So-Sein sind wir. Salentino steht für eine Region: das Salento – die Halbinsel im äußersten Südosten Italien, die gerne auch als Absatz des italienischen Stiefels bezeichnet wird. Das Salento gehört zu Apulien und dort, in der Provinz Lecce, einer der schönsten Kunstregionen Süditaliens, in der der Barock einen eigenen Sonderstil ausgebildet hat, liegt das kleine Örtchen Specchia, in dem Antonio Zecca aufgewachsen ist.
Will uns Antonio Zecca mit dieser Ausstellung zurück entführen in das Land seiner Kindheit? Kann man überhaupt den vergangenen Ort seiner Kindheit in Bildern einfangen, gleich wie der Wind in Segeln sich fängt? Ja und Nein. Die Zeichnung, die sich mit der Farbe verbindet, ist Zeccas Werkzeug, mit der er seine Vergangenheit, seine Erinnerungen, seine Wunsch- und Traumbilder in schnellem, frischen Duktus uns und sich selbst zugänglich, sinnvoll und fruchtbar macht.
Dreiteilig hat der Zeichner und Maler seine Ausstellung aufgebaut.
Wiewohl auch im Hauptsaal des Kunstvereins Konstanz die Präsentation der für ihn typischen großen Papierbahnen und seiner kleinteiligen Tafelbildchen das Moment der Improvisation einschließt, ist die Hängung doch am klassischen Ausstellungsformat orientiert. Als eine Art Quintessenz treten uns hier, insbesondere in den großformatigen Arbeiten auf Papier, aller Art Menschen, mal weniger, mal stärker durchgeführt, aus den Welten des Alltags und der Kunstgeschichte gleichermaßen entgegen. Doch Achtung: eine „Störung“ hat der Künstler bewusst, hier am Boden, eingebaut: Sein großes Buch mit metallenen Deckeln, zwischen die weitere Papierbahnen mit Menschenbildern eingebunden sind. Diese Improvisation, diese Laune, der Einblick ins größere Oeuvre, verweist auf die Zeichnungen im Gang zwischen dem Hauptraum des Kunstvereins und der Wessenberg-Galerie. Hier gibt Antonio Zecca den Blick frei in seine Werkstatt, sein Archiv der Zeichnungen, in seine Werk- und Skizzenbücher. Die Bücher sind ausgelegt, die Zeichenblätter über die Wand gestreut – und geben so Einblick in die assoziative Gestaltung der Form. Und was bekommt der Betrachter da zu sehen? Das weite Feld der Handzeichnung reicht von der klassischen Studie, Skizze und Zeccas letzten 5-Minuten-Zeichnungen am Ende eines Tages über Notate und Beobachtungen, über Entwürfe und Vorzeichnungen bis hin zu Improvisationen und Neukombinationen und kann alle Grade der Zeichenkunst, von der Andeutung bis hin zu Ausführung, durchlaufen. Im dritten, letzten Raum der Ausstellung, konfrontiert uns Antonio Zecca mit einem „Wald“ großformatiger Zeichnungen. Die Papierbahnen mit lebensgroßen Figuren sind an quer durch den Raum gespannten Seilen dicht gedrängt gehängt. Wenn wir uns unseren Weg durch diese Installation hindurch suchen, begegnen uns die Dargestellten auf Du und Du.
Antonio Zecca will uns ganz bewusst dicht an seine Arbeiten heranführen. Wie aber tut es das?
Die von Antonio Zecca gezeigten Menschen und Figuren schauen uns entweder direkt an; nehmen Blickkontakt mit uns auf, oder sind selbstvergessen in ihre eigenen Handlungen, gern tänzerische Bewegungen oder Drehungen, vertieft. Das nimmt uns für die Dargestellten ein. Wir „antworten“ und bewegen uns auf die Dargestellten zu.
Zeccas Strich ist emotional bewegt, kreisend, suchend. Zumeist umschreiben und umspielen die Linien ihren Gegenstand, ohne ihn still, allzu fest zu halten. Die sich drehenden, schnellen, kreisenden Linien sind selbst wiederum lebendig, führen, obschon sie Gegenstände beschreiben, ein eigenes Leben, das uns Betrachter hinein reißt ins wuchernde, tanzende Bild. Es ist kein Zufall, dass Antonio Zecca seine Figuren kombiniert mit barocken Zitaten und floralen Motiven. Neben- und übereinander geschichtet stehen auch sie für die Fülle und den Reichtum der lebendig, assoziativ einströmenden Welt. Zeccas Erinnerungs- und unsere Wunschbilder überlagern, überlappen sich hier – und wir treten erneut nah heran, um zu erkennen; all diese Schichten zu durchdringen. Längst hat der Zeichner seine Kunst des Zeichnens und der assoziativen Zeichen virtuos gesteigert – so etwa, wenn er mit gezielten Schüttungen aus einer Flasche die stark verdünnte Acrylfarbe in großzügigen Schwüngen auf seine mannshohen Papierbahnen fließen lässt, wo sie, angesiedelt zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, gleichermaßen Linien und Flecken ausbilden.
Antonio Zecca ist primär Zeichner – und doch stehen wir in einer Ausstellung leuchtend-strahlender Farbigkeit. Ein Widerspruch? Nein, denn dieser Zeichner zeichnet mit Farben. Türkisblau und helles Weiß sind die bestimmenden – und Antonio Zecca interessiert sich nur wenig für die natürliche Farbigkeit der von ihm dargestellten Bildgegenstände, dafür aber umso mehr für die Erscheinung, die Kraft, die Lichtfülle und den symbolischen Gehalt seiner Farben. In Zeccas Blau und Weiß leuchtet die Faszination des Südens mit seinem alles überstrahlenden Licht auf – und zugleich „frieren“ sie diesen Moment auch ein. „Wie wir einen angenehmen Gegenstand, der vor uns flieht, gern verfolgen, so sehen wir das Blaue gern, nicht weil es auf uns dringt, sondern weil es uns nach sich zieht.“, hat Goethe in seiner Farbenlehre formuliert. Die Sehnsucht, die Goethe hier beschreibt und uns anzieht, vermengt mit jener Melancholie, die wir verspüren, wenn wir merken, dass wir das Ersehnte nie ganz erreichen können – sie verbinden wir mit Zeccas Farbwahl.
Was uns weiter fasziniert? Dass das Gefüge dieser Bilder und die Gestalt, also die äußere Erscheinung der dargestellten Bildgegenstände, ganz anders als man es bei der Zeichenkunst erwarten könnte, nicht von trennenden Grenzen bestimmt sind. Bei Antonio Zecca lagern sich Figuren, seien sie aus der Kunstgeschichte oder aus dem Alltag kommend, florale Motive, Ornamente, Muster, Flächen, Linien, Spuren, Flecke und Räume gleichwertig über- und nebeneinander an, so dass die Differenz zwischen der Figur einerseits und ihrem Umfeld andererseits aufgehoben wird. Alles hängt mit allem zusammen – Menschen, Figurinen, Pflanzen, Textfetzen, Gegenstände, aber auch dingliche Gegenstände und autonome Gestaltungselemente, all die unterschiedlichen Welten, die sich in Antonio Zeccas Bildern zwanglos überlappen und vermengen. Was wir im Alltag häufig schmerzlich als Trennung erleben und begreifen – hier die Vergangenheit, da die Gegenwart; hier die Welt der Kunst, da die Einförmigkeit des Lebens – in Zeccas wuchernd-surrealen, dabei glaubhaften Erinnerungs-, Wunsch- und Traumbildern gehen die vermeintlich getrennten Welten sinnhaft eine Symbiose ein.
Sicher, man kann solch eine künstlerische Haltung ablehnen. Manch einem mag solch eine Kunst zu wenig kritisch zu sein, zu wenig außer der Tradition stehen. Antonio Zecca, so will mir scheinen, versteht seine Kunst, auch vor dem Hintergrund einer Wahrnehmung, die sich aus der Erfahrung zweier Welten speist, anders. In Zeccas Kunst tritt die alte Idee der Beschwörung, wenn er sich vorbehaltlos in den Prozess der Bildgestaltung hineinbegibt, in neuer, verwandelter Form wieder auf: sich des Verlorenen im Bild versichern, seinen eigenen Ort markieren, dabei die Gegenwart einbeziehen. Wer bin ich? Wo ist mein Ort?
Ob die ästhetische Erfahrung, die wir vor Antonio Zeccas Zeichnungen erfahren können, uns spielerisch dazu verhilft, bewusster und anders wahrzunehmen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Dass aber der Künstler Antonio Zecca zutiefst davon überzeugt ist, dass in seinem gestalterischen Handeln und Gestalten exemplarisch das Potential angelegt ist, freier, offener, versöhnter, fantasievoller, schöpferischer zu werden, und dieses transformierende Potential auf uns, sein Publikum, überspringen kann, davon bin wiederum ich mit Blick auf die lustvolle Lebendigkeit seiner Bilder überzeugt.
Copyright: Christoph Bauer
Vernissage Freitag, 15.02.2019, 19 Uhr
Einführung Christoph Bauer MA, Leiter des Kunstmuseums Singen
„Flaschenbilder“ nennt Antonio Zecca sehr unprätentiös die Serie großformatiger Arbeiten, die in seiner Einzelausstellung des Kunstvereins Konstanz einen beherrschenden Raum einnehmen. Der Künstler zeichnet tatsächlich mittels einer schlichten Getränkeflasche, gefüllt mit verdünnter Acrylfarbe, direkt auf große, raumhohe Papierbahnen.
So entstehen, auch mit gezielten Schüttungen der Farbe, in großzügig geschwungener Linienführung monochrome Zeichnungen von großer Intimität und Nähe, angesiedelt zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Stets bleibt jedoch Antlitz und Gestalt des Menschen als Zeccas zentrales Thema erkennbar.
Die letztlich ästhetische Entscheidung für die Zeichnung als künstlerisches Mittel überschreitet der Zeichner Antonio Zecca jedoch bei einer Reihe von Arbeiten bewusst, dort mischen sich malerische Elemente ein, neben Acryl erscheinen farbige Kreiden und Kohle. Hier werden Personen, Formen, Gegenstände irreal, bisweilen surreal kombiniert, erweitert durch Textfragmente in Zeccas italienischer Muttersprache. Wir erkennen darin unwillkürlich aufsteigende Erinnerungen, Traum- und Wunschbilder, raumgreifend und voller Lebendigkeit.
Die Bilder Antonio Zeccas sind das Resultat einer intensiven und persönlichen Auseinandersetzung mit der Figürlichkeit der Renaissance bis hin zur Gegenwart, gepaart mit seinen eigenen Erfahrungen, Erinnerungen und seinen Visionen. Im Vordergrund, so formuliert der Künstler, stehe immer der poetisch-narrative Eindruck des Menschlichen.
Er beschreibt seine Arbeit als eine Verbindung seines persönlichen Blicks zurück, in die eigene Kindheit, die eigene Familie, deren Leben im Süden Italiens vom Tabakanbau geprägt war, und viel weiter zurück in die vielfältige Geschichte seiner Region - zum Beispiel auf das seinem Heimatort Policoro benachbarte achttausendjährige Matera, die aktuelle Kulturhauptstadt Europas – und seinem individuellen Blick nach vorne, in eine offene Zukunft.
Ein unverzichtbarer Teil der künstlerischen Arbeit Antonio Zeccas sind seine Skizzenbücher. Sie begleiten ihn immer, zu Hause, auf Reisen, vor dem Einschlafen, sie sind Teil seiner Existenz und haben ein eigenständiges Leben, sind nicht in erster Linie „Notizen“ für spätere ausgeführte Arbeiten, wie der Künstler betont. Eine Auswahl der Skizzenbücher präsentiert die aktuelle Ausstellung mit der schönen Besonderheit, dass die Besucher die Bücher umfassend betrachten, darin blättern und „lesen“ können.
AntonioZeccas Drahtzeichnungen, bezaubernd in ihrer Zartheit, faszinierend in ihrer Dreidimensionalität, zeigen Personen in Bewegung, bei alltäglicher Tätigkeit, Sportler, Motorradfahrer, Spaziergänger, Tänzer. Sie entstehen in Beobachtung der Realität, verbunden mit einer klassischen Haltung, wie Zecca formuliert. Im Gang des Kunstvereins präsentiert, werfen sie feine zusätzliche Schattenzeichnungen an die Wand.
Das Spielerische des südlichen Italiens, die Leichtigkeit des Seins, das helle, beherrschende Licht seiner Heimat sei stets auch Grundlage und Motor seiner Arbeit, formuliert der Künstler. Darauf verweist der Titel der Ausstellung: „gioco salentino“, „salentinisches Spiel“ (das Salento ist Zeccas Heimatregion im Süden Apuliens).
Antonio Zecca ist ein vielseitiger Künstler, seine Arbeiten reichen von der klassischen Zeichnung und Malerei zu Plastik, Objektkunst, Performance bis hin zur Installation.
Auch die aktuelle Ausstellung des Kunstvereins wird der Künstler installativ gestalten, die Arbeiten werden teilweise als begehbares Labyrinth in dichter Anordnung frei im Raum hängen; auch der Boden der Räume des Kunstvereins wird zu einem Teil der Installation werden.
Zur Kunstnacht Konstanz Kreuzlingen am 30. März wird Antonio Zecca zudem von 19 bis 23 Uhr eine Live- Performance mit zwei Musikern (Isabell Marquardt /Gesang und Reinhard Kohle /Gitarre) im Oberlichtsaal des Kunstvereins aufführen.
Antonio Zecca wurde 1962 in Policoro, Basilicata, geboren und wuchs in Specchia in Apulien auf.1971 übersiedelte die Familie nach Stuttgart. Zecca besuchte Schule sowie Fachhochschule im Raum Stuttgart und studierte von 1984 bis 1988 an der Stuttgarter Akademie der bildenden Künste bei Rudolf Schoofs. Er lebt und arbeitet in Singen.
Liederabend
Do, 21. März 2019, 19.00 Uhr
mit Isabell Marquardt und Roland Kohle
Finissage mit Künstlergespräch Andrea Gamp und Antonio Zecca
Gesang Julia Matt
So, 14. April, 11.30 Uhr
Öffentliche Führungen
So, 24. Februar 2019, 11.30 Uhr
Do, 14. März 2019, 17.00 Uhr
Do, 04. April, 17.00 Uhr
weitere auf Anfrage
Öffnungszeiten
Di – Fr, 10.00 bis 18.00 Uhr
Sa / So, 10.00 bis 17.00 Uhr
Am Donnerstag, 28.2. und Sonntag, 3.3.2019 ist das Haus geschlossen!
Fotos: Christa Schweizer und Franz Reichrath
mit freundlicher Unterstützung von