OTGO

unendlich

Vernissage-Einführung, Dr. Dolores Claros-Salinas, 20.9.2019

Otgonbayar Ersshuu, der sich als Künstler OTGO nennt, ist ein Maler fragiler Miniaturen, die auf ihrem Malgrund zu erstaunlichen Groß-, ja Riesenformaten anwachsen. Die Einordnung dieser Malerei gelingt mit gängigen Kategorien nicht recht – am ehesten scheint die Bezeichnung der Hybridmalerei zuzutreffen, wie sie Ulrike Lorenz, seit kurzem Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar, vorschlug und damit Phänomene kultureller Überschneidung, einer dynamischen Verarbeitung gegensätzlicher Handlungs- und Denkmuster als möglichen Ausgangspunkt neuer künstlerischer Perspektiven meint. Als hybrid ist aber auch die unterschiedliche Wahrnehmungsmöglichkeit zu beschreiben: In der Nahsicht lassen OTGOS Arbeiten dichte Figurationen von Mensch und Tier, oft comicartig inszeniert, erkennen, aus einiger Ferne aber vereinen sich Bilddetails zu flimmernden Texturen, die als abstrakt-ornamentale Gestaltung wahrgenommen werden. 

Aus welcher Tradition entsteht ein solches künstlerisches Werk?

Zunächst ist es die historische Lebensweise der Mongolen als Nomaden, die bis in die Gegenwart prägend ist. Für die Reiterheere unter Dschingis Khan, der im Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert ein Weltreich ungeheuren Ausmaßes eroberte, war die nomadische Lebensweise ein Kern ihrer hohen Mobilität, mit der sie bis in europäische Gebiete vorstießen.  Bei aller Gewalttätigkeit dieser Feldzüge finden sich Hinweise, dass Dschingis Khan Bevölkerungs­schichten schonte, deren berufliche Fertigkeiten das Fortbestehen eroberter Gebiete sicherten, wie Verwalter, Architekten - und auch Künstler.                                  Die nomadische Lebensweise bestimmte aber auch Formen des künstlerischen Schaffens der Mongolen: bei der Notwendigkeit fortwährender Ortswechsel, des schnellen Auf- und Abbaus waren es kleinformatige Kunstwerke, Miniaturen, die bereits ab dem 13. und 14. Jahrhundert, d.h. schon in mongolisch-vorbuddhistischer Zeit eine Blütezeit erlebten.

Mit der mongolischen Geschichte um Dschingis Khan, in der nachsowjetischen Zeit längst eine nationale Identifikationsfigur, ist OTGOS Werk aber auch in ganz anderer Weise verknüpft: es ist OTGO, der ein 800-jähriges Literaturzeugnis seiner Heimat, die „Geheime Geschichte der Mongolen“, ein um das Leben des Großkhans kreisendes Epos, erstmals ins Bild setzt: entstanden ist ein rund 3000 Zeichnungen umfassender Comic, eine langjährige Arbeit, einschließlich intensiver Vorstudien zu historischen Details, etwa der Waffenarten, der Kleidung, der Haartracht, die OTGO 2020 vollenden und veröffentlichen  möchte (im Flur haben wir beispielhafte Passagen in Kopie ausgelegt).   

Eine weitere kulturelle Wurzel, aus der sich OTGOS Werk wesentlich entwickelte, ist der Buddhismus in seiner mongolischen Ausprägung: die sich von Indien ausbreitenden Lehren Buddhas erreichten die Mongolei Ende des 16. Jahrhunderts und verschmolzen mit bis dahin vorherrschenden Naturreligionen zu einer besonderen tantrisch-lamaistischen Strömung.

Die Thangka-Malerei, in der sich OTGO nach seinem Kunststudium in Ulan Bator auf seiner Studienreise durch die Mongolei unterweisen ließ, lässt in ikonographischer Strenge Bilder entstehen, auf denen Buddhas, Bodhisattvas oder Mandalas zu Meditationszwecken dargestellt werden. Die für mongolische Thangka-Malerei typischen Miniaturen entstehen bei natürlichem Licht, ohne jedes Hilfsmittel wie etwa eine Lupe – 600 dieser streichholz-schachtelgroßen Kunstwerke hat OTGO erarbeitet. „Thangka-Malerei bedeutet, dass der Geist malt und nicht die Hände - wie Meditation, die ihm neue Kraft und Energie verleiht“, fasst OTGO diese prägende Erfahrung zusammen.

Im tibetischen Raum ist Thangka-Malerei oft an die Form des Rollbilds geknüpft. Ein Rollbild ist auch Zentrum unserer Ausstellung, ein Werk, das erfahrbar macht, wie OTGO sich konsequent weiterentwickelte und seine künstlerischen Mittel zeitgenössisch zu adaptieren weiß: „HUN“, mongolisch für „Menschen“, 660 × 217 cm, Acryl auf Leinwand, entstand in den Jahren 2010 –2012. Statt buddhistischer Gottheiten werden also Menschen dargestellt, nackte, bunte Leiber, in kräftigen, frischen Tönungen, die in mehreren, dickichtartigen Bildschichten übereinander dargestellt und in einer dynamischen Sogbewegung ineinander verwoben, verknotet, verschlungen sind. Auch viele, unterschiedliche Tiere sind eingearbeitet, in feiner schwarzweißer Zeichnung, die Haustiere meist in freundlicher Nachbarschaft zum Mensch, die Wildtiere hingegen oft in den Hintergrund gedrängt und in konflikthafter Auseinandersetzung um freien Raum kämpfend. Über drei Jahre hinweg hat OTGO an diesem Kunstwerk gearbeitet, in einer ritualisierten Arbeitsform, die wie eine intensive Meditationsübung wirkt: jeden Mittwoch hat sich OTGO von allen sonstigen Verpflichtungen befreit, in aller Morgenfrühe begonnen und über Stunden ohne Vorskizzierungen in höchster Konzentration, sich immer mehr vom eigenen Willen, allen Leidenschaften lösend auf dem Boden über der Leinwand liegend gemalt. OTGO arbeitet stets an mehreren Werken parallel und schon als 18-jähriger hat er seine malerische Aktivität fein strukturiert: der Arbeit „1000 Menschen Miniature“, zu sehen im Flurbereich, eine seiner ersten frei entworfenen Arbeiten, hat er jeden Tag nur zwei winzige menschliche Figuren hinzugefügt – die Vielzahl und Besonderheit menschlicher Darstellung, die diese Arbeit am Ende ausmacht, können Sie mithilfe einer Lupe erkunden, entstanden ist „Die Kunst der Liebe“, wie die Arbeit im Untertitel auch heißt,  zwischen 1999 und 2002 ohne jegliches Hilfsmittel.

In seiner für den Kunstverein Konstanz konzipierten Ausstellung zeigt OTGO, der vielfach ausgezeichnete und international agierende Künstler, auch neueste Arbeiten und erweitert dabei sein eigenständiges, zwischen östlicher Maltradition und westlicher Bildsprache changierendes Werk:  im „Triptychon Unendlich“  überlagern numerische Zeichen und komplexe, technisch anmutende Linienführungen die gewohnten Darstellungen von Mensch und Tier, hier die im mongolischen Gründungsmythos fest verankerte Hirschkuh, und lassen Darstellungen menschlicher Körper nur noch in blassen Umriss-Skizzen zu, die an die längst von digitalen Codes beherrschte Oberfläche drängen.

Für OTGO, der mit seinen künstlerischen Mitteln zunehmend auf kritische Veränderungen unserer Lebenswelt reagiert, reflektieren diese Ziffer-Reihungen die digitale Dominanz, die Überfülle an Informationen in vielen alltäglichen Lebensbereichen, in denen es immer mehr an tiefgründigem Wissen, an Konzentration auf wesentliche, spirituelle Inhalte mangele. „Unendlich“, der Titel seiner Konstanzer Ausstellung, scheint damit nicht nur den ungeheuren Detailreichtum der künstlerischen Darstellung zu fassen, sondern ebenso die Dimension digitaler Überformung, der möglichen Reduktion von Geist und Glauben auf eine Ziffernfolge.

Diese Thematik bestimmt auch die Einrichtung unseres kleinen Oberlichtsaals: hinter Gitterstrukturen und langziffrigen, goldglitternden Codes treten uns in dichter Hängung 12 menschliche Schemen entgegen, nackte Körper in Lebensgröße, deren Individualität, und sei es nur ihr Geschlecht, ungewiss bleibt.

Eine sakrale Verdichtung erfährt auch unsere Flurgalerie, allerdings in ganz anderer Stimmlage: sechs Kirchenfenster öffnen die Wand und nehmen eine Verbindung zum nahen Münster auf, die in licht-bunten Farben dargestellte Unterwasserwelt, voll schwebender Taucher, vielarmiger Kraken und funkelnder Lichtreflexe, fügt der Vorstellung „unendlich“ eine heiter-optimistische Färbung bei.

Lieber OTGO, bayarlalaa, danke für diese Ausstellung und herzlichen Glückwunsch!

Vernissage                           
Freitag, 20. September 2019, 19 Uhr  

Begrüßung:
Michael Günther, 1. Vorsitzender Kunstverein Konstanz

Grußworte:                                      
Seine Exzellenz Dr. Damba Ganbat, Botschafter der Mongolei

Dr. Andreas Osner, Kulturdezernent der Stadt Konstanz

Einführung:
Dr. Dolores Claros-Salinas, Kunstverein Konstanz                                                         

Preview:                                
Donnerstag, 19. September 2019, 17 Uhr

 

OTGOS Wurzeln liegen in einer fernen Region, dünn besiedeltes Steppen- und Wüstenland, historisch vermittelt durch die Eroberungszüge Dschingis Khans im 13. Jh. und in ihrem Kunstschaffen seit dem 17. Jahrhundert ein herausragendes Zentrum buddhistischer Kunst: der Mongolei. 

1981 in Ulan-Bator geboren, studierte OTGO traditionelle mongolische Malerei in seiner Heimatstadt, um sich anschließend in einer intensiven Phase des Selbststudiums, nomadisch von Kloster zu Kloster reisend, die buddhistische Kunst der Miniaturmalerei anzueignen. „Thangka-Malerei bedeutet, dass der Geist malt und nicht die Hände - wie Meditation, die ihm neue Kraft und Energie verleiht“, so fasst OTGO diese prägende Erfahrung zusammen.

Seit 2005 in Berlin lebend, hat OTGO seine künstlerischen Wurzeln, u.a. durch ein erneutes, 2010 mit dem Mastertitel abgeschlossenes Kunststudium, konsequent weiterentwickelt und zeitgenössisch adaptiert. Er gilt damit als der bedeutendste Maler der sich immer weiter modernisierenden Mongolei und zugleich als wichtiger Vertreter einer kulturenübergreifenden Weltkunst.

Seine großformatigen Gemälde sind als Miniaturmalerei angelegt, in mehreren, dickichtartigen Bildschichten übereinander finden sich Abbildungen von Menschen und Tieren, die wie in einer Sogbewegung dynamisch ineinander verwoben sind. Farblich sind OTGOS Arbeiten meist in kräftigen, frischen Tönungen gestaltet, dabei aber beschränkt auf nur jeweils zwei oder drei Farben, die in variantenreichen Schattierungen ausgeführt werden – und dennoch mitunter fast monochrome (Fern-)Wirkungen erzeugen. OTGOS Arbeiten entziehen sich eindimensionalen Betrachtungsweisen: die Detailsicht seiner Miniaturen lässt comicartige Figurationen erkennen – unabhängig von diesen für sein Werk zentralen Malereien hat OTGO tatsächlich ein etwa 3000 Zeichnungen umfassendes Comicwerk erschaffen, das ein 800-jähriges Literaturzeugnis seiner Heimat, die „Geheime Geschichte der Mongolen“, erstmals ins Bild setzt. Neben der grundsätzlich figurativen Anlage seiner Werke aber bringen schon die teilweise riesigen Bildformate (vgl. etwa „HUN“, mongolisch für „Menschen“, 660 × 217 cm, Acryl auf Leinwand, 2010–2012), bei denen Bilddetails sich zu flimmernden Texturen vereinen, auch abstrakte Malkonzeptionen zum Vorschein. 

In seiner für den Kunstverein Konstanz konzipierten Ausstellung wird OTGO, der vielfach ausgezeichnete und international agierende Künstler, auch neueste Arbeiten zeigen und dabei in sein eigenständiges, zwischen östlicher Maltradition und westlicher Bildsprache changierendes Werk einführen. Gerade seine neuesten Arbeiten, die numerische Zeichen und komplexe, technisch anmutende Linienführungen in die dichte, detailreiche Malweise einarbeiten, zeigen, wie sehr OTGO sich mit gegenwärtigen Entwicklungen unserer Lebenswelt auseinandersetzt. Die Reihungen von Zahlen, in unterschiedlichem Größenformat, horizontal wie senkrecht angeordnet, reflektieren, so OTGO, die digitale Dominanz, die Überfülle an Informationen in vielen alltäglichen Lebensbereichen, in denen es immer mehr an tiefgründigem Wissen, an Konzentration auf wesentliche, spirituelle Inhalte mangele. „unendlich“, der Titel seiner Konstanzer Ausstellung, scheint damit nicht nur den ungeheuren Detailreichtum der künstlerischen Darstellung zu fassen, sondern ebenso die Dimension digitaler Überformung, der möglichen Reduktion von Geist und Glauben auf eine Ziffernfolge.

Das Begleitprogramm zur Ausstellung orientiert sich in besonderer Weise an den mongolischen Wurzeln des Künstlers: „Kino im Kunstverein“ präsentiert „Johanna d‘Arc of Mongolia“, einen Film von Ulrike Ottinger, der gebürtigen Konstanzerin und Trägerin des Konstanzer Kunstpreises (So, 13.10., 19 Uhr).  Ein außergewöhnlicher Höhepunkt wird die Begegnung des malerischen Werks OTGOS mit einer der herausragendsten Musikerinnen der Inneren Mongolei sein: URNA Chahar-Tugchi (Sa, 05.10., 20 Uhr). URNAS Instrument ist ihre Stimme, mit der sie, aus einer Familie nomadischer Hirten stammend, die flirrende Weite der heimatlichen Steppenlandschaft, deren mystische Verwurzeltheit hörbar macht. URNAS vier Oktaven umfassende Stimme ist dabei von einer unvergleichlichen Authentizität, variantenreich und klar. URNA, inzwischen auch in Deutschland beheimatet, ist eine Weltmusikerin von Rang, die national, etwa in der Hamburger Elbphilharmonie, wie international auftritt und mit Preisen wie dem Ruth Prize als beste internationale Künstlerin ausgezeichnet wurde. Bei ihrem Konstanzer Konzert tritt URNA gemeinsam mit Oli Bott auf, einem ebenfalls vielfach ausgezeichneten Berliner Jazz-Vibraphonisten und -komponisten, der in verschiedenen Orchesterformationen, u.a. dem zwölfköpfigen „Oli Bott Orchestra“, beteiligt ist und auch als Dirigent wirkt.

Eröffnet wird die Ausstellung am 20.9., 19 h, als Ehrengast wird der Botschafter der Mongolei, Seine Exzellenz Dr. Damba Ganbat, erwartet, der mit einem Grußwort in diese besondere Präsentation außereuropäischer Gegenwartskunst einführt.

Mehr im Internet unter www.otgo.info und www.urna.com

 

Mongolische Musik im Kunstverein: Urna

Urna Chahar-Tugchi und Oli Bott

Samstag, 05.10.2019, 20 Uhr

Mit seiner Präsentation des mongolischen Malers Otgo weitet der Kunstverein Konstanz ein weiteres Mal den Blick auf außereuropäische Kunst.  Ein außergewöhnlicher Höhepunkt dieser Ausstellung wird die Begegnung des malerischen, buddhistisch beeinflusstem Werks Otgos mit einer der herausragendsten Musikerinnen der Inneren Mongolei sein: Urna Chahar-Tugchi. 

Urnas Instrument ist ihre Stimme,  mit der sie, aus einer Familie nomadischer Hirten stammend, die flirrende Weite  der heimatlichen Steppenlandschaft, deren mystische Verwurzeltheit hörbar macht. Urnas vier Oktaven umfassende Stimme ist dabei von einer unvergleichlichen Authentizität,  variantenreich und klar.

Urna, inzwischen auch in Deutschland beheimatet, ist eine Weltmusikerin von Rang,  die international auftritt und mit Preisen wie dem Ruth Prize als beste internationale Künstlerin ausgezeichnet wurde. 

 

Begleitprogramm:

Konzert der mongolischen Sängerin URNA Chahar-Tugchi feat. Oli Bott
Sa, 05.10.19, 20 Uhr

Konzert im Rahmen des 40. Konstanzer Jazzherbstes „Impro Werkstatt“
Fr, 25.10.19, 20 Uhr

Kammerkonzert der Südwestdeutsche Philharmonie
Do, 14.11.19, 19 Uhr

Kino im Kunstverein „Johanna d‘Arc of Mongolia“, ein Film von Ulrike Ottinger
So, 13.10.19, 20 Uhr

weitere Informationen zum Film

 

Gerne weisen wir auf das Allensbacher Mühlenweg Museum hin, das dem bekannten Schriftsteller, Maler und Mongolei-Reisenden Fritz Mühlenweg (1898 - 1961) gewidmet ist.
www.mühlenwegmuseum.de

 

Führungen:
Öffentliche Führungen
Do, 26.09., 16.30 Uhr / So, 20.10., 11.30 Uhr / Do, 07.11., 16.30 Uhr / So, 24.11., 11.30 Uhr /
weitere auf Anfrage

Öffnungszeiten:
Di – Fr, 10 bis 18 Uhr
Sa/So 10 bis 17 Uhr

Fotos: Christa Schweizer und Franz Reichrath

 

Mit freundlicher Unterstützung von

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