Rajkamal Kahlon

Do you know our names?

Eröffnung: 15.7.2022, 19 Uhr

Begrüßung: Michael Günther, 1. Vorsitzender

Einführung: Dr. Dolores Claros-Salinas, Kunstverein Konstanz

Einführungsrede zur Ausstellung "Do You Know Our Names?", Rajkamal Kahlon

Do You Know Our Names? Diese Frage stellen in unserer Ausstellung sehr unterschiedliche Menschen – die historischen Fotografien, die sie abbilden, klassifizieren sie als fremde Wesen „exotischer Rassen“, unter ihnen „der Eskimo“ oder „die Bantu-Frau“.

Zu Wort kommen lässt sie Rajkamal Kahlon, eine in den USA geborene und aufgewachsene Künstlerin mit indisch-pakistanischen Familienwurzeln, klassisch ausgebildet in Kalifornien und New York, international ausgestellt und vielfach ausgezeichnet (u.a. Villa Romana-Preis 2019), in Berlin lebend und seit 2021 als Professorin für Malerei an der Hochschule für bildende Künste Hamburg tätig.

So vielfältig diese biografischen Daten sind, so verschieden, ja auf den ersten Blick gegensätzlich sind auch die inhaltlichen Bezüge, die Rajkamal Kahlon in ihrem künstlerischen Werk kombiniert: Auf der einen Seite beschäftigt sie sich mit unterschiedlichen Erscheinungsweisen historischer Gewalt und analysiert kolonialgeschichtliche Unterdrückungs- und Entwertungsmechanismen ebenso wie Gewaltexzesse der zeitgeschichtlich näheren Balkankriege oder eines Überfalls auf einen Sikh-Tempel in Wisconsin. Andererseits bekennt sie sich zu ästhetischen Kategorien wie Verführung, Schönheit und Humor, die sie mit ihren malerischen Mitteln anschaulich machen will. Dabei sieht sie ihre künstlerische Praxis als eine mögliche Form von „Sorgearbeit“, jenseits materiellen Gewinnstrebens, mit der Idee, Prozesse sozialer Wissensproduktion anzustoßen und gesellschaftliche Verantwortung für andere wahrzunehmen.

In ihrer Ausstellung im Kunstverein Konstanz deckt Rajkamal Kahlon insbesondere auf, wie ideologielastig kolonialgeschichtlich geprägte Bilddokumente sind und wie deren eurozentrisches Weltbild zu rassistischen Überzeugungen beiträgt, die unterschwellig bis heute fortwirken.

Sie zeigt dies anhand eines Fundstücks aus einem Wiener Antiquariat, einem  um 1900 erschienenen ethnographischen Werk: Die Völker der Erde des Zoologen, Biologen und Pädagogen Kurt Lampert. Dieses Werk hat Rajkamal Kahlon zunächst in seine Einzelteile zerlegt, um dann Seite um Seite stereotype Abbildungen v.a. des „Wilden und Primitiven“ zu übermalen und zu einer Installation von 300 Einzelbildern neu zu arrangieren. Die Völker der Erde des Lambert-Buches werden auf diese Weise - nicht zuletzt auch durch die Cluster-Hängung ohne gerade, geometrisch exakte Linien - zu einer verwirrenden, multikulturellen Gesellschaft, die ihre Brüche und Wunden herzeigt, aber auch durch Anmut und Schönheit anziehend wirkt.

In ihren malerischen Umgestaltungen reagiert Kahlon auf die Geschichte von Kolonialisierung und anmaßendem Eurozentrismus, die in diesem, wie auch in vielen anderen, ethnografischen Werken an der Wende zum 20. Jahrhundert hervortreten. Dabei interessiert sie sich nicht dafür, diese Geschichte zu überschreiben oder gar auszulöschen, sondern sie in Bezug zu unserer Gegenwart zu setzen, um Debatten zu eröffnen, ins Gespräch zu kommen, immer im Bewusstsein, dass jede Betrachter:in ihre individuelle Verarbeitungsweise finden wird.

Die Fülle der Fotografien auf über 300 Buchseiten ermöglichte ihr, der Künstlerin,  emotional ein weites Reaktionsspektrum, von Wut und Unbehagen bis hin zu Freude an Verschönerung, liebevoller Dekorierung oder humorvoller Ergänzung.  Dabei geht sie, die sich auf die Fotografien fokussiert, kaum auf den Text, intuitiv und spontan vor.

Wie sehr ein historisches Foto in Kahlons Bearbeitung geeignet sein kann, spannungsvolle Bezüge zur gegenwärtigen politischen Situation herzustellen, zeigt sich etwa in einer Abbildung persischer Frauen in ihren traditionellen Gewändern: die Gesichtsschleier dieser Frauen sind als nationalstaatliche Flaggen ausgemalt und verweisen auf politische Einflussnahme und sanktionierende Macht westlicher Länder, die das ohnehin schwierige Leben dieser Frauen weiter belasten.

Zwischen den einzelnen Buchseiten ergeben sich dabei auch Querbezüge: das Frontex-Banner lässt uns die blauen Wellen, aus denen sich dunkelhäutige Hände herausrecken, unheilvoll zusammenhängend sehen  - und dem Mädchen wurde der Badeanzug samt Badekappe nicht aus modischen Erwägungen auf die nackte Haut gemalt, sondern als Grundausrüstung für die Flucht übers Meer.

Mit oft nur sparsamer malerischer Intervention verwandelt Kahlon die in ihrer Nacktheit und Ärmlichkeit zur Schau gestellten Menschen: Samtwams mit Barett macht elegante Höflinge, das eckige Brillengestell intellektuelle Erscheinungen, variantenreiches Hair-Styling überformt volkstümliche Frisuren.

Begonnen hat Rajkamal Kahlon mit dieser besonderen Ausgestaltung, indem sie Frauenköpfe mit engen Bandagen umwickelte, um die ursprüngliche Logik einer Abbildung umzukehren: die als sinnlich dargestellte arabische Frau etwa entzieht sich mit bandagiertem Gesicht den Blicken, die sie zum Objekt machen. Zugleich kann die Bandage interpretiert werden als ein Nachaußen-Dringen all der Wunden, die der kolonialisierte Mensch in seinem Innern verbirgt. Die Polka dots, die sich nicht nur auf der gemalten Kleidung befinden, sondern auch das Gesicht mit Pünktchen-Muster überziehen und andere Erweiterungen vom Gewanddekor zu Gesichtsbemalung erscheinen als eine mildere Form der strengen Bandagierung.

Die Astronautenhelme, die den Köpfen wiederholt übergestülpt werden, oft in Kombination mit technoid wirkenden Stiefeln, eröffnen noch eine andere Reaktionsebene: es sind die „wilden“ und „primitiven“ Anderen, die hier malerisch in eine fortschrittliche Zukunft, als Astronauten geradewegs in unendliche All, katapultiert werden.

Einzelne Fotografien der Buchvorlage überträgt Kahlon in ein größeres Format (70 x 100 cm), löst sie aus der beklemmenden, historischen Sichtenge und erhebt sie zu Einzelpersönlichkeiten, die sie klassisch als Brust- oder Schulterstück porträtiert, einer Galerie bedeutender Ahnen nicht unähnlich.

Die dreidimensionalen Cut-outs, auf Holz applizierte Malerei, ragen im Eingangsbereich bis zu zwei Meter in die Höhe – zwei davon wirken wie eine fernöstliche Wächtergesellschaft, vielgliedrige Wesen, die klaren Blicks Handgranaten präsentieren und deren ein oder anderes Glied, Arm oder Bein, zu Schwert oder Maschinengewehr mutierte. Die dritte Figur, Woman with Landscape, spiegelt die Beobachtung der Künstlerin während ihres kunsthistorischen Studiums, dass Landschaftsabbildungen ohne zwingenden Grund mit nackten Frauen, im Vorder- oder Hintergrund, garniert sind – hier sind nackte Frau und Landschaft, Frau und Tafelbild, einmal anders kombiniert.

Cut outs haben im Werk von Rajkamal Kahlon eine besondere Bedeutung: schon sehr früh hatte sie, die Malerin, das an der Wand fixierte Tafelbild als nicht befriedigend empfunden. Indem sie Gemaltes, eine menschliche Figur, ausschnitt, aus dem Leinwandrechteck befreite, auf ein den Umrissen angepasstes Holzgerüst aufklebte und in den Raum stellte, erreichte sie eine Nähe zu den Betrachter:innen, die ihr schon als junger Künstlerin intensiver und angemessener erschien.

Mühelos lässt sich vor Kahlons Werk an die aktuelle Diskussion des Otherings oder der Alterisierung anknüpfen: dem distanzierenden Prozess, in dem Menschen als «Andere» konstruiert und von einem «wir» unterschieden werden, etwa die subtile Ausgrenzung von Menschen, die zwar hierzulande geboren und aufgewachsen sind, aber aufgrund ihres Aussehens, ihrer religiösen Zugehörigkeit oder kulturellen Gebräuche als fremd und anders wahrgenommen werden und stets aufs Neue erklären müssen: „Ich bin von hier. Hört auf zu fragen!“, so der Titel eines Buchs von Ferda Ataman, die - nicht unumstritten – gerade die Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes übernommen hat.

Rajkamal Kahlon aber bleibt bei Wut, Ärger oder Unbehagen über all diese Phänomene des Othering nicht stehen, sie erlaubt auch Versöhnung, Heilung durch Humor, ironische Umdeutungen – es geht darum, so meint sie, mit Widersprüchen umzugehen, in ihrer Kunst wie im Leben.

Wenn Rajkamal Kahlon die dargestellten Menschen fragen lässt: Do You Know Our Names? wird niemand Namen nennen können. Aber viele Besucher:innen unserer Ausstellung werden sich an besondere Persönlichkeiten erinnern, an diverse Individuen, oft schön, prächtig oder gar majestätisch, in überraschenden Haltungen, mit ungewöhnlichen Attributen und manchmal voller Witz.

Dr. Dolores Claros-Salinas

 

 

Begleitprogramm zur Ausstellung

Ukrainischer Filmabend: FR 05.08.2022,19 Uhr, Wolkenstein-Saal
Der Film ROSES, Film-Cabaret, 2021, öffnet den Blick für das eigenständige Kulturschaffen ukrainischer Künstler:innen / Einführung: Katerina Voropay, Kuratorin der Ausstellung „Umso stärker schlägt mein Herz“ im Kunstraum Kreuzlingen, 09.07.-14.08.2022.

Filmpremiere & Künstler:innengespräch: DO 18.08.2022, 19 Uhr, Wolkenstein-Saal
Dokumentarfilm After Dadaism, Fluxism, Mailism comes Tourism / Dr. phil. Ute Christiane Hoefert (Kunsthistorikerin und Regisseurin) und H. R. Fricker (Konstanzer Kunstpreisträger 2002) im Gespräch.

Do You Know Our Names? Diese Frage stellen in der kommenden Ausstellung des Konstanzer Kunstvereins sehr unterschiedliche Menschen – die historischen Fotografien und Zeichnungen, die sie abbilden, klassifizieren sie als fremde Wesen „exotischer Rassen“, unter ihnen „der Eskimo“ oder „die Bantu-Frau“.

Zu Wort kommen lässt sie Rajkamal Kahlon, eine in den USA aufgewachsene Künstlerin mit indisch-pakistanischen Familienwurzeln, klassisch ausgebildet in Kalifornien und New York, international ausgestellt und vielfach ausgezeichnet (u.a. Villa Romana-Preis 2019), in Berlin lebend und seit 2021 als Professorin für Malerei an der Hochschule für bildende Künste Hamburg tätig.

So vielfältig diese biografischen Daten sind, so verschieden, ja auf den ersten Blick gegensätzlich sind auch die inhaltlichen Bezüge, die Rajkamal Kahlon in ihrem künstlerischen Werk kombiniert: Auf der einen Seite beschäftigt sie sich mit unterschiedlichen Erscheinungsweisen historischer Gewalt und analysiert kolonialgeschichtliche Unterdrückungs- und Entwertungsmechanismen ebenso wie Gewaltexzesse der zeitgeschichtlich näheren Balkankriege oder eines Überfalls auf einen Sikh-Tempel in Wisconsin. Andererseits bekennt sie sich zu ästhetischen Kategorien wie Verführung, Schönheit und Humor, die sie mit ihren malerischen Mitteln anschaulich machen will. Dabei sieht sie ihre künstlerische Praxis als eine mögliche Form von „Sorgearbeit“, jenseits materiellen Gewinnstrebens, mit der Idee, Prozesse sozialer Wissensproduktion anzustoßen und gesellschaftliche Verantwortung für andere wahrzunehmen.

In ihrer Ausstellung im Kunstverein Konstanz deckt Rajkamal Kahlon insbesondere auf, wie ideologielastig kolonialgeschichtlich geprägte Bilddokumente sind und wie deren eurozentrisches Weltbild zu rassistischen Überzeugungen beiträgt, die unterschwellig bis heute fortwirken.

In einem um 1900 erschienenen ethnographischen Werk (Die Völker der Erde des Zoologen, Biologen und Pädagogen Kurt Lampert), Fundstück aus einem Wiener Antiquariat, übermalt Kahlon stereotype Abbildungen des „Wilden und Primitiven“ Seite um Seite, und gibt in ihren farbigen Ergänzungen den dargestellten Menschen Würde und Schönheit, bisweilen auch in humorvoller Transformation. Indem der Text der über 300 bearbeiteten, einzeln an der Wand installierten Buchseiten fragmentarisch erhalten und lesbar bleibt, wird der Riss zwischen historischem Druckerzeugnis und dessen Analyse durch Kahlons malerische Mittel unmittelbar nachvollziehbar.

Einzelne Fotografien der Buchvorlage überträgt Kahlon in ein größeres Format (70 x 100 cm), befreit sie aus der beklemmenden, historischen Sichtenge und erhebt sie zu Einzelpersönlichkeiten, die sie klassisch als Brust- oder Schulterstück porträtiert, einer Galerie bedeutender Ahnen nicht unähnlich.

Die dreidimensionalen Cut-outs, auf Holz applizierte Malerei, ragen im Eingangsbereich bis zu zwei Meter in die Höhe und wirken wie eine fernöstliche Wächtergesellschaft, vielgliedrige Wesen, die klaren Blicks Handgranaten präsentieren und deren ein oder anderes Glied, Arm oder Bein, zu Schwert oder Maschinengewehr mutierte.

Wenn Rajkamal Kahlon die dargestellten Menschen fragen lässt: Do You Know Our Names? wird niemand Namen nennen können. Aber viele Besucher:innen der Konstanzer Ausstellung werden sich an besondere Persönlichkeiten erinnern, an diverse Individuen, oft schön, prächtig oder gar majestätisch, in überraschenden Haltungen, mit ungewöhnlichen Attributen und manchmal voller Witz.

Öffentliche Führungen:
Do 21.07. 16.30 Uhr / So 21.08. 11.30 Uhr / Do 01.09. 16.30 Uhr / So 18.09. 11.30 Uhr
Weitere auf Anfrage   

Öffnungszeiten:
Di - Fr 10.00 – 18.00 Uhr
Sa / So / Feiertage 10.00 – 17.00 Uhr

Fotos: Rajkamal Kahlon

Fotos: Franz Reichrath und Christa Schweizer

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